-
S.
[Briefkopf Wien] Karlsbad
29. 7. 14. mittagsa
Lieber Herr Doktor
Eben Ihren Eilbrief erhalten. Ihr angekündigtes Telegramm noch nicht. Es hat sich viel verändert, seitdem ich Ihnen depeschierte: Unverändert willkommen! Ich wußte damals noch nicht, daß ein Telegramm dringend sein muß, wenn esb so schnell reisen soll wie ein Eisenbahnzug. Seither haben wir den ganzen Ernst der Situation verstehen gelernt.1 Kriegserklärung, Manifest, Sperrung des Bahnverkehrs über die Tage der Mobilisierung, das scheint eine andere Situation, als Ihnen noch gestern vorgeschwebt haben muß. Ich halte es für ausgeschlossen, daß Sie Freitag hier anlangen können, und jedenfalls für unsicher, wann Sie wieder wegfahren dürfen. Unter diesen Umständen bitte ich Sie, den Besuch aufzugeben. Ich kann es nicht zugeben, daß Sie sich solchen Unbequemlichkeiten und Unsicherheiten aussetzen, und will Ihnen für die Absicht so herzlich danken wie für die Ausführung.
Nebenbei ist das Wetter hier so elend – die Mädchen im Hause behaupten: seitdem die Männer fort sind –, daß es schwer wird, die für die Kur unerläßliche Bewegung aufzubringen.
Wir hoffen nach der Sperre, etwa am 3. Aug., nach München zu kommen. Von meinen drei Söhnen ist glücklicher- und unverdienterweisec nur einer noch zu einem Drittel militärpflichtig, er ist kürzlich zum zweiten Mal zurückgestellt worden.2 Auch auf unseren Kongreß fallen jetzt Schatten, aber auf zwei Monate hinaus kann man nichts prophezeien. Vielleicht ist dann wieder das meiste in Ordnung.
Das wesentliche ist, daß wir Z[ürich] losgeworden sind. Abraham hat glänzend gearbeitet.3
Seien Sie mir herzlich gegrüßt, auch von meiner Frau,4 und grüßen Sie Ihre liebe Frau, die gewiß mit dem Verzicht auf Ihre Reise nicht unzufrieden sein wird.
Ihr Freud
a Eilbrief.
b Nachträglich eingefügt.
c MS: glücklicher – und unverdienter Weise.
-
S.
Güntzelstrasse 2
Berlin 10717
Germany
C22F3