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    [Briefkopf Wien] Tegel 2. X. 29

    Lieber Max

    Dank für Ihre häufigen schriftlichen Beweise von freundschaftlicher Teilnahme. Wir haben es wiederum sehr behaglich in Tegel und freuten uns bis heute des schönen Herbstwetters. Die erste Woche bei Schröder brachte die versprochene Verkleinerung der Prothese und damit eine dauernde Erleichterung ersten Grades. Die weiteren Bemühungen um ihre feinere Anpassung haben nach meiner Empfindung wenig Erfolg gehabt. Als er mir gestern ankündigte, er gedenke sie sehr bald endgiltig abzugießen, erschrak ich eigentlich, so wenig bin ich mit der Sprache und den Sensationen im Munde zufrieden. Vielleicht, weil ich noch immer nicht gelernt habe, wieviel – oder wie wenig – man von einer Kieferprothese erwarten darf. Die ganze Arbeit ist in der Tat guess-work, man hat keine richtigen Anhaltspunkte, wie sie gut zu machen ist. Das abschließende Urteil über solche Körperersätze hat unser großer Dichter1 gesprochen, wahrscheinlich hatte er anderes dabei im Sinn. Ich meine die traurigen Zeilen: Anfangs wollt’ ich fast verzagen – und ich glaubt’, ich trüg’ es nie – und ich hab’ es doch getragen – aber fragt mich nur nicht, wie.

    Wir werden voraussichtlich Tegel vor dem 15. dieses jungen Monats verlassen. Meine Frau und Minna sind nach Lugano jetzt in Vitznau und genießen ihre Schweizerreise sehr. Auch von Ihnen und Mirra darf ich ja das gleiche annehmen.

    Herzlich Ihr

    Freud