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S.
[Briefkopf Wien] 4. 2. 1928
Lieber Max
Mit mehr Berechtigung möchte ich Ihnen das Kompliment zurückgeben. Ich habe Sie selten so frisch und heiter, und zwar nach verkürzten Ferien, gesehen. Ich bedarf eines solchen Eindrucks, denn auf mich selbst ist doch kein Verlaß.
Sehr froh zu hören, daß Sie eifrig mit Sarasin korrespondieren und seine Schritte lenken. Er ist sehr anständig, nicht sehr energisch. Die Mira Oberholzer hatte mir eine Deutung seines (O[berholzer]s) Benehmens im Sinne der Neurose zu erzählen, nichts, womit sich im Leben wirtschaften läßt. Sie drohte mit seinem Besuch in Wien über einen Sonntag. Ich konnte es nicht abschlagen, bin nicht begeistert.
„Mit Narren sich beladen“, sagt Mephist[opheles].1
Anna arbeitet wirklich gut, aber sie ist ein Frauenzimmer und hält nicht Haus mit ihren Kräften. Sie war so müde, daß sie diesmal schon Freitag mittag ins Weekend gefahren ist.
Wir werden uns in den nächsten Tagen zur Semmeringmiete entschließen müssen, trotz der großen Verzichte bei der Erneuerung dieser Wahl. Zu alt für Experimente, manches ist doch sehr schön oben.
Bei Reik scheint nichts zu gelingen. Zwei Versuche, ihm Patienten zu verschaffen, sind mir mißglückt. Um die Zeit müßte ein Analytiker schon selbständig sein.
Mit herzlichen Wünschen für Ihr neues Arbeitsjahr und Mirras Befinden
Ihr Freud
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S.
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