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S.
[Briefkopf Wien] 21. 3. 1933
Lieber Max
Angeblich ist heute Frühlingsanfang. Wir hatten dieselben Gründe, nicht zu schreiben, Ihr heutiger Brief fordert aber Antwort. Das Problem ist vorläufig nicht aktuell, vielleicht wird es überhaupt nicht real, wir diskutieren aber Möglichkeiten. Von denen unterscheide ich drei, die Sie, glaube ich, nicht deutlich sondern. Erste: Die Psychoanalyse wird verboten, das Institut von Amtsgewalt wegen geschlossen. Dazu ist am wenigsten zu sagen oder zu tun, Sie haben dann bis zum letzten Moment ausgehalten, ehe das Schiff versenkt ist.1 Zweite: Dem Institut geschieht nichts, aber Sie werden als Ausländer usw. von der Leitung entfernt, Sie bleiben aber in Berlin und können Ihren Einfluß inoffiziell weiter ausüben. In diesem Falle, meine ich, können Sie das Institut nicht sperren. Sie haben es zwar begründet und die längste Zeit erhalten, aber dann haben Sie es dem Berliner Verein überlassen, dem es jetzt gehört.2 Sie können es rechtlich nicht; es ist aber auch im allgemeinen Interesse, daß es erhalten bleibt, um die ungünstigen Zeiten zu überstehen. Im Intervall kann ein Indifferenter3 wie Boehm es weiterführen. Es dürfte weder von Einheimischen noch von Fremden viel aufgesucht werden, solange die Beschränkungen andauern. Dritte: Wiederum geschieht dem Institut nichts, aber Sie verlassen freiwillig oder gezwungen Berlin. Dieser Fall läßt dieselben Betrachtungen wie der vorige [zu], nur daß Ihr Einfluß ganz wegfällt und die Gefahr wächst, daß innere Gegner wie Schultz-H[encke] sich des Instituts bemächtigen und [es] ihren Absichten dienstbar machen. Dagegen gibt es kein anderes Mittel, als daß der Vorstand der I.P.V. das so mißbrauchte Institut disqualifiziert und gewissermaßen ausschließt, bis es entsühnt werden kann. Natürlich zuerst die Warnung davor. Eine traurige Diskussion!
Auch hier verspürt man die Welle der Panik, die die Ausbreitung der Bewegung4 nach Österreich befürchtet. Ich glaube nicht daran, daß es hier etwas Ähnliches ergeben wird. Jedenfalls habe ich erklärt, daß ich in keinem Falle Wien verlasse, mein Alter ist der Vorwand dafür. Als Parole möchte ich ausgeben: Keine Provokationen, aber noch weniger Konzessionen. Die Psychoanalyse können sie nicht erschlagen, an unseren Personen ist weniger gelegen.
Ich hätte Ihnen noch sehr viel zu sagen.
Mit wärmsten Grüßen Ihr
Freud
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S.
Berggasse 19
Wien 1090
Austria
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