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[Briefkopf Wien] 5. 7. 27.a
Lieber Max
Unsere Korrespondenz gedeiht. Ich hoffe, Sie werden sich in den Beilagen und Rücksendungen zurechtfinden. Hätte ich auch Ihre Resolution zurückschicken sollen?
Der zweite Brief Ferenczis1 ist auch für Sie bestimmt, diesmal mehr für Sie als für mich. Er enthält einen Vorschlag, in dem ich die zweckmäßigste Lösung der schwebenden Frage sehe. Die Vereinigung soll dreierlei Gruppen anerkennen[:] a) einfach psychoanalytische, die keinen Unterschied machen, b) ärztlich-analytische und c) nicht ärztlich-analytische. Wenn der Kongreß gleichzeitig Washington2 und die New Yorker Laien3 aufnimmt, ist durch dieses Präjudiz die Sache erledigt. Gewiß nicht in idealer Weise, aber so, wie es der gegenwärtigen Vorläufigkeit am besten entspricht. Ich bin sehr begierig zu hören, wie Sie sich dazu stellen und ob Sie meinen, es so durchsetzen zu können.
Mein Manuskript zur Diskussion erwarte ich zurück. Ich werde es so verkürzen, wie wir übereingekommen sind, aber ohne den New Yorkern viel Ratschläge zu geben. Erinnern wir uns dabei, wie irreführend es war, daß wir die New Yorker Gruppe immer die amerikanische geheißen haben. In Wirklichkeit reicht deren Einfluß – den sie auch in New York nicht haben – nicht über ihre Stadt hinaus. Amerika ist nicht Frankreich.
Der Brief von Jones4 erscheint mir als ein weit übleres Zeichen als alles, was Ferenczi aus Amerika berichtet hat. Ich darf doch endlich mißtrauisch werden nach allen meinen Erfahrungen. Ich habe also den Eindruck, daß Jones krampfhaft nach einer Plattform sucht, auf der er den Kampf gegen mich eröffnen kann. Er glaubt sie in dieser Umwendung meiner Sorge, die Medizin werde die Analyse verschlingen, gefunden zu haben, indem er mir die Absicht zuschreibt, das Band zwischen Analyse und Medizin zu zerschneiden. Wie und wozu ich das tun sollte, überlegt er nicht. Bei all seiner Unaufrichtigkeit ist er auch unvorsichtig, denn er könnte erraten, daß Sie mir seinen Brief zeigen werden. Er wird sich gewiß auch gegen F[erenczi]s Präsidentschaft sträuben, und wenn Sie ihn nicht umstimmen können, bitte ich Sie sehr, sich auch die Last dieses Amtes aufzuerlegen, denn Sie sind der einzige, der die verworrene Situation in Ordnung halten kann.
Die Rücksicht auf Jones5 veranlaßt mich auch zum Vorschlag, Anna nicht für den Posten des Zentralsekretärs in Aussicht zu nehmen. Sie genießt, wie Ihnen bekannt ist, Jones’ besondere Feindschaft, es ist gar nicht so sicher, daß er nicht ihre Ablehnung durchsetzt, und das muß man ihr ersparen. Auch weiß sie, daß sie eine solche Stellung im wesentlichen der Beziehung zu mir, nicht dem eigenen Verdienst verdanken würde, und darum könnte es ihr keine Freude machen. Ich habe mit ihr gesprochen, sie teilt ganz meine Ansicht.
Von mir ist zu berichten, daß ich die letzte Woche abscheulich unter meiner Prothese gelitten habe. Gestern war ich zum zweiten Mal in Wien, und heute, nachdem er6 eine Änderung vorgenommen, die ich angeregt, habe ich zum ersten Mal die Hoffnung, daß es erträglich werden wird, so daß ich sprechen und kauen kann und nicht den ganzen Tag an den Kiefer denken muß. Ich werde es Ihnen nicht verbergen, wenn es wirklich so wird. Diese Wochen der immer wieder getäuschten Erwartung haben mich sehr hergenommen. Im ganzen bin ich der Meinung, daß Zurückhaltung jetzt für mich das Angemessenste ist und daß ich die Kämpfe jüngeren Kräften überlassen soll.
Ich hoffe, Sie wissen, wie sehr ich Ihre außerordentliche Leistung in diesen schweren Zeiten schätze und wie froh ich Ihrer Hilfe bin.
Herzlichen Gruß für Mirra
Ihr Freud
a Einschreiben.
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