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S.
[Briefkopf Wien] 3. Dez. 22
Lieber Max
Durch eine Karte von Mirra an Anna bin ich informiert, daß Sie wieder in Paris sind. Ich kann Ihnen noch vor Antritt der italienischen Reise einiges antworten.1
Es tut mir leid, daß Sie Ihre Wünsche in betreff Frau Dr. L[owtzky] nicht deutlicher ausgedrückt hatten. In Unkenntnis Ihrer Absichten und unter dem Eindruck, daß Sie mich auf sie drängen, habe ich ihr noch vor Erhalt Ihres Briefes geschrieben, daß sie sich, wenn sie noch will, bereit halten soll, noch im Dezember einberufen zu werden. Ihre Antwort ist noch nicht eingetroffen. Wenn sie aber Russin ist, erledigt sich die Sache ohne Einfluß von unserer Seite, denn in diesem Fall wird sie die Einreise nach Österreich nicht durchsetzen.
Es ist für mich schwer zu beurteilen, welchen Eindruck Sie in London über die Frage der Press empfangen haben. Möglicherweise hat Sie Jones doch nicht richtig informiert. Rickman, dessen Sendung sehr zweckmäßig war, hat sich hier den Eindruck geholt, daß wir nicht die Absicht haben, die Freiheit der Press anzutasten, und ihr nur die verschiedenen Möglichkeiten für ihr weiteres Verhalten [vorhalten].2 Ihre Überzeugung, daß wir von London in nächster Zeit nichts zu erwarten haben und mit den Engländern nicht zusammenarbeiten können, ist längst die unserige geworden; meine Berliner Alternative: völlige Verschmelzung oder weitgehende Trennung, ist auf die letztere Entscheidung eingeschrumpft. Es bleibt aber ein Akt schmerzhafter Autotomie3, der Verlag kann ohne eine englische Abteilung nie das werden, was er sein sollte. Insoweit für diesen Verzicht eine Person verantwortlich zu machen ist, muß ich Jones beschuldigen. Er wird auch weiterhin und selbständig nichts zustande bringen. Sie wissen bereits durch Rank, daß er4und ich Gelder in den Verlag gesteckt haben. Ich bin zu weiteren Opferna bereit, denn der Verlag scheint mir das wichtigste Organ unserer Bewegung, lebenswichtiger sogar als die Polikliniken. Ich danke Ihnen auch sehr für Ihre Ankündigung neuer Beiträge,5nur wäre es für den Augenblick dringender, daß Sie den Rest Ihrer Stiftung $ 948 - n bald zugänglich machen.
Von einer Absicht Ferenczis, nach Berlin zu übersiedeln, weiß ich nichts und glaube nicht daran.
Das ‚Alltagsleben‘ ist hier angekommen. Mit Paris muß man wohl warten, bis sich ein solcher Mann findet.
Von Ende der nächsten Woche an werde ich durch drei Abgänge Zeit gewinnen, besser leben und auch arbeiten können.
Habe ich mich schon für die Leckerbissen bedankt, die Rickman mitgebracht hat? Also geschehe es jetzt!
Mit herzlichen Grüßen für Ihr und Mirras Wohlergehen auf der Reise Ihr
Freud
a Nachträglich eingefügt.
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S.
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