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[Briefkopf Wien] 15. 7. 27
Lieber Max
Es scheint, Sie haben die Worte meines Telegramms „Kein neuer Unglücksfall“ zum Besseren mißverstanden. Die kleine Rosenfeld ist auch tot; ich meinte nur, wir hätten keine Beweise für ein epidemisches Auftreten der Poliomyelitis oder Enzephalitis, und so ist es auch geblieben, obwohl wir recht schreckhaft sind, wenn jemand plötzlich stundenlange erbricht, wie gestern Dr. Reik,1 oder zu fiebern beginnt wie heute Ernstl. Es ist ein rebellischer Sommer, Unglücksfälle, Erdbeben, Wetterkatastrophen, und nun hören wir von Straßenkämpfen in Wien,2 über die wir uns natürlich keine Berichte verschaffen können.
In einem anderen Punkt geht Ihr Mißverständnis wohl aufs Schlechtere. Ich kann nicht glauben, daß Ferenczi unfreundliche Affekte gegen Sie nährt, er hat uns drei immer als eine Einheit behandelt und jeden seiner letzten Berichte für Siea mitbestimmt. Wahrscheinlich irrt sein Urteil in dem, was auf dem Kongreß für die Laienanalyse zu erreichen ist, und darum ist er mit Ihrer Resolution unzufrieden. Ich habe ihn so dringend aufgefordert, Sie noch vor dem Kongreß aufzusuchen, daß er es wahrscheinlich auch sonst getan hätte. Was die Resolutionen betrifft, ich gestehe, ich habe keine mehr ordentlich gelesen. Nachdem ich meine Meinung gesagt, habe ich alles Ihnen überlassen, dankbaren Sinnes, daß Sie sich der undankbaren Sache überhaupt annehmen wollen.
Nun etwas anderes! Die Eltern Haralds,3 die sich nicht nur korrekt, sondern wirklich vornehm benommen haben, wollen zu seinem Andenken eine persönliche Spende für die Analyse machen, und überdies wird der Vater Sweetser, der Einfluß auf die Verwendung der Rockefeller-Stiftung hat, sich bemühen, daß wir mehr bekommen. Was er versprochen, $ 5000, dürfte ich bald bekommen, er ließ mich wissen, daß sie für den Verlag bestimmt sind. Die vorigen $ 5000 waren eigentlicha dem Lehrinstitut zugedacht, ich habe trotzdem den Verlag daran beteiligt und kann es jetzt gutmachen, so daß jeder Betrag seine ursprüngliche Bestimmung erreicht. D. h. der Verlag wird diesmal nicht die ganzen 5000 bekommen, sondern was von der früheren Spende dazu gefehlt hat. Unser Lehrinstitut ist nämlich ebenso notleidend, ohne Heim. Überdies bittet Reik, daß ihm diesmal die S 4000 zurückgestellt werden, die er aus Eigenem dem Verlag vorgestreckt. Er hat jetzt nur einen Patienten, die Burlingham, seine Frau ist wieder krank, und er hat ein gutes Recht auf die Rücksicht, denn Mr. Sweetser hat seine erfolgreiche Analyse bei ihm durchgemacht.
Ob aus den weiteren Aussichten, die Herr Sweetser uns eröffnet, etwas wird, wann und wieviel, läßt sich nicht angeben. Ich bin nicht zu optimistisch, denn unsere Analyse ist bei Rockefellersb nicht sehr beliebt, dank Jung und Mrs. McCormick,4 aber immerhin, denken Sie daran bei Ihren Verhandlungen mit Springer. Haben wir den Verlag einmal weggegeben, so bekommen wir ihn nicht wieder. Übrigens meine ich, Sie werden diese Verhandlungen kaum angenehmer finden als die mit Ferenczi und Jones.
Ich weiß, Sie sind nicht beneidenswert.
Heute habe ich die erste Nr. der ‚Revue française de Psychanalyse‘ bekommen. Auf dem Umschlag (nicht innen!) prangt zwar le haut patronage de M. Freud, aber dann folgt ein Editorial, das die gebräuchlichen Anzeichen von Vorsicht, Ambivalenz und Opposition nicht vermissen läßt. Lesen Sie selbst, und urteilen Sie, ob ich wieder zu mißtrauisch bin.
Ich habe jetzt wieder einen Patienten, einen zähen Amerikaner, der bei Laforgue mit seinem Widerstand nicht fertig geworden ist, mit Zustimmung von L., aber nur zur Begutachtung für 1-2 Wochen.5 Der August wird wohl frei bleiben. Für den September sind nicht nur Patienten angekündigt, sondern auch Besucher, vor deren Anzahl und Gleichzeitigkeit mir grauen darf. Denken Sie, bis jetzt: Jones, Ferenczi, Laforgue, Binswanger, und ich glaube, noch andere.
Sie meinen, ich werde wieder zur Arbeit kommen? Ich bin neugierig. Bis jetzt will es nicht. Die Prothese hat mir die ersten besseren Tage gegönnt. Das Bessere ist nicht das Gute.
Mit herzlichen Grüßen und Dank für alles, was Sie tun,
Ihr Freud
a MS eher: sie.
a Gestrichen: f.
b MS: Rockeffer’s [Verschreiben oder Verballhornung?].
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