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[Briefkopf Wien] 26. X. 24.a
Lieber Max!
Ich erwarte Sie also am Freitag, den 31., und werde mir Samstag und Sonntag arbeitsfrei machen, um mich unseren Aufgaben zu widmen. Lassen Sie uns telegraphisch wissen, ob und für wann wir ein Zimmer für Sie bestellen können. Meine Frau werden Sie unterdes bereits gesehen haben oder noch vor Ihrer Abreise zu sehen bekommen.1
Rank war heute drei Stunden lang bei mir und hat mich völlig in Verwirrung gebracht. Einerseits leugnet er jede Absicht der Separation, jede Neigung des Abfalls von unseren Lehren und kann nicht verstehen, wieso sich solche Gerüchte über ihn festgesetzt haben. All sein Benehmen will er aus dem Eindruck erklärt haben, den die Berliner Denunziation2 bei ihm hervorgerufen hat. Er bekam die Idee, daß seine Position in der Psychoanalyse gefährdet ist, daß auch ich bereit bin, ihn fallen zu lassen, und sah sich darum genötigt, sich nach anderen Existenzbedingungen umzusehen. Er arbeitet viel mit der Psychologie der anderen und will an seiner eigenen nichts Auffälliges finden. Anderseits macht er doch nicht den Eindruck befreiender Aufrichtigkeit, produziert ein verlegenes Schweigen, wenn man ihm die markanten Stellen seiner Briefe vorhält, und vermag das Wissenschaftliche und Persönliche offenbar nicht gehörig zu trennen. Das Fazit ist, daß ich mich in ihm nicht auskenne, aber immerhin froh bin, einen Bruch mit Eklat vermieden zu sehen. Er hat meinen Vorschlag angenommen, in der nächsten Vereinssitzung eine Erklärung von sich zu geben, welche den „Gerüchten“ aufs entschiedenste widerspricht, und dabei gesagt: „Diese Erklärung kann ich mit gutem Gewissen geben.“
In technischer Hinsicht verlangt er selbst eine partielle Entlastung von seinen Pflichten, mit der Begründung, er wisse, daß man weder zu seiner Tätigkeit als Redakteur noch als Verlagsleiter derzeit volles Zutrauen haben werde. Unsere Besprechungen können ja ergeben, in welcher Art diese Entlastung oder Unterstützung geschehen soll. Er stellt es als unsicher hin, wann er nach Amerika zurückgehen wird, aber als wahrscheinlich, daß er nach einiger Zeit einen ebenso langen Besuch dort machen wird wie das erste Mal. Da er an dieser Bewegungsfreiheit festhält, ist ja die Notwendigkeit einer Ersatzorganisation erwiesen.
Ich sehne mich sehr danach, die Lage mit Ihnen zu besprechen, und sage nur: Auf baldiges Wiedersehen!
Herzlich
Ihr Freud
a Masch.
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