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S.
[Briefkopf Wien] 5. 1. 1933
Lieber Max
In schmerzhafter Rührung habe ich erfahren, daß Sie so bald nach dem Verlust des Vaters1 durch das Hinscheiden von Mirras Mutter2 betroffen worden sind, so daß Sie beide elternlos im Leben stehen. Es sind grausame Erlebnisse bei all ihrer Unausbleiblichkeit.
Mit Ihrem Vater ist es mir merkwürdig ergangen. Damals, als Sie von einer Störung während der Operationsheilung berichteten, verlor ich das Zutrauen, und da bereitete sich die Erwartung vor, die sich später, als Sie seine Herstellung mitteilten, in dem Ausdruck Luft machte, es sei doch wenigstens Zeit gewonnen. Wenn Sie sich an diese Stelle in meinem Brief erinnern können!3 Nun, es war zu wenig Zeit gewonnen worden. Mir schwebte vor, daß wir doch alle zum Tod verurteilt sind, die Alten unter uns mit besonders kurzer – Bewährungsfrist.
Wenn Sie wieder zur Ruhe gekommen sind, so lassen Sie uns doch wissen, wann Sie nach Wien zu kommen gedenken. Sie werden nicht viel Neues finden, aber man muß doch das Alte von Zeit zu Zeit wieder bestätigen.
Mit herzlichen Grüßen für Sie beide
Ihr Freud
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S.
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