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    [Briefkopf Wien] 8. 2. 1931

    Lieber Max

    In letzter Woche haben die Sachkundigen wiederum gefunden, eine bestimmte Schleimhautwucherung in meiner Narbe sei ja gewiß nicht bösartig, aber doch suspekt, man könne nicht wissen, was sie anstellen werde, und darum müsse sie weg. Mit Aufbietung all meiner Passivität habe ich mich gefügt und so gestern eine neue kleine Operation bei Pichler durchgemacht. Diesmal eine Elektrokoagulation, ich bin weniger hergenommen als im Oktober, schon heute fast schmerzfrei, rauche, während ich Ihnen schreibe, und werde wahrscheinlich, wenn ich der Grippe und der Schluckpneumonie entgehe, nur noch 2-3 Tage die Arbeit aussetzen.

    Diesen Stand der Dinge ziehen Sie mit in Betracht, wenn Sie Ihr liebenswürdiges Vorhaben über ein week-end ausführen wollen.

    Nun zu den Zigarren! Ich bin sehr froh, daß ich mir wieder einen bescheidenen Giftgenuß erobert habe. Aber was die österreichische Tabakregie herschenkt, ist für mich ebenso unmöglich geworden wie alles, was wir in Berlin versucht haben. Ich habe mir jetzt eine gewisse Anzahl von kleinen Holländerinnen auf legalem Wege kommen lassen, aber das bedeutet ein garstiges Geldopfer – wie so manches andere Legale –, gestatteta wahrscheinlich auch keine Wiederholung. Da muß man also doch zum Schmuggel zurückkehren. Den Namen des Mannes in Berchtesgaden kann ich zwar nicht erinnern, aber es gibt nicht viel Trafiken dort, ich meine, unter der Adresse: An die Tabakwarenhandlung (neben Fink am Marktplatz), B[erchtesgaden] müßte die Bestellung, die auf Soberanos lauten kann, ankommen. Drei Schachteln können genügen, bis ich konstatiert habe, daß die Zigarren ihre Eigenschaften beibehalten haben. Aber diesmal möchte ich es durchsetzen, meine Zigarrenrechnung selbst zu bezahlen.

    Und weiter: nachdem sich wiederum eine Chance, dem 75. Geburtstag zu entgehen, verflüchtigt hat, sollten wir auch einmal darüber handeln. Meine allgemeine Einstellung zu solchen Feiern kennen Sie. Die meiner Frau entnehmen Sie aus ihrer dringenden Aufforderung, die Zeit mit ihr in Baden zu verbringen. Ich täte ihr gern den Gefallen, wenn ich damit nicht auf die Bequemlichkeit des Waschkabinets verzichten müßte.

    Ich weiß aber, daß es noch eine andere Schwierigkeit gibt, wenn eine Vermutung von mir berechtigt ist. Es scheint doch, daß Sie zu diesem Datum eine Sammlung veranstalten, ein Geschenk zustande bringen wollen, das unserem Verlag aufhelfen soll.1 Dieser Verwendung zuliebe habe ich meinen Einspruch zurückgezogen. Nun geht es offenbar nicht zusammen, daß man ein Geschenk annimmt und seine persönliche Beteiligung an der Übernahme absagt. Also z. B.: Sie haben etwas für mich gebracht? Legen Sie’s nur hin, ich werd’ es mir dann schon holen. Die Aggression, die mit der Zärtlichkeit des Gebers legiert ist, verlangt ihre Befriedigung; der Beschenkte muß sich anstrudeln2, ärgern, in Verlegenheit bringen lassen. Schwächere alte Leute, die bei solchen Anlässen zu ihrer Überraschung erfahren, wie hoch sie von ihren jüngeren Zeitgenossen geschätzt werden, pflegen dabei von der Überfülle der Gefühle überwältigt zu werden und den Nachwirkungen bald darauf zu erliegen. Umsonst ist bekanntlich nichts, auch von einem zu langen Leben muß man hohe Steuern zahlen.

    Ich hoffe, daß Sie mir von diesen Prüfungen ersparen werden, was sich ersparen läßt. Wobei ich natürlich voraussetze, daß meine Vermutung recht hat und daß ich nicht wieder in drei Monaten durch einen neuerlichen Eingriff gesellschaftsunfähig werde. Es ist Montag geworden, seitdem ich an diesem Brief schreibe, und ich glaube, ich darf sagen, daß ich diese letzte Probe gut bestanden habe. Ich bin wohl, schmerzfrei und gedenke Mittwoch wieder zu arbeiten. Nur daß ich wegen des Ödems um die Wunde den Mund nicht recht öffnen und also nicht kauen kann.

    Soviel heute von mir. Ihre Nachrichten über den Ablauf der Wahlen im Verein waren mir sehr willkommen. Ihre Begrüßung an Sachs3 legt mir auf, ihm ein freundschaftliches Kärtchen zu schicken, was ich doch im ganzen gern tue. Die Prinzessin ist seit zwei Wochen hier und will bis anfangs März bleiben. Sie ist sehr brav, recht geteilt zwischen verschiedenen Interessen. Die Tochter leidet wieder unter ihrer tuberkulösenb Schleimbeutelaffektion, soll hieher kommen, um eine Röntgenbehandlung zu haben. Sie will selbst noch eine plastische Operation bei Halban4 vornehmen lassen, um ihre Idee von der anatomischen Fundierung der Frigidität bis zum letzten Ende durchzuführen.5

    Der Winter ist schön, wir schwelgen im Schnee, suchen Sommerwohnung in Wien selbst oder in nächster Nähe. Mit herzlichen Grüßen für Sie und Mirra

    Ihr Freud

     

    a Gestrichen (Beginn der 2. Seite): gest.

    b Im MS abgekürzt: tbc.