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S.
[Briefkopf Wien] 1. 4. 19281
Lieber Max
Sie haben recht, es gab eine Unterbrechung im Briefverkehr, an Annas Unpäßlichkeit anknüpfend. Es war keine gute Zeit, überall Krankheit, hartnäckig verlängerter Winter, wie eine verzögerte Pubertät. Jetzt ist es wärmer, aber kaum behaglicher. Ich bin mit der Prothese besonders unzufrieden, stehe unter dem Eindruck der Nachricht, daß Dr. Rosenberg, einer meiner drei Spielgenossen,2 heute früh gestorben ist. Gestern war er noch bis ½1h bei mir, beim Abschied sagte ich scherzend: Diesen Monat haben wir also umgebracht. Es ist jetzt ein Kampf zwischen uns und der Zeit auf Leben und Tod. Er hatte nur in den letzten zwei Wochen über leichtere stenokardische Beschwerden geklagt.
Was ich von den Schweizern weiß, ist folgendes. Ich antwortete Saussure, bekam keine Antwort. Diese wurde durch einen Brief von Odier3 ersetzt, auf den ich ähnlicher Weise, aber mit demselben Erfolg, reagierte. Was die Genfer wollen, ist leicht zu erraten, sie wollen sich von der Laienanalyse frei machen, aber es nicht mit uns verderben, d. h. sie wollen, daß wir ihnen nachgeben.
Ferenczi hat Freitag hier einen hübschen Vortrag gehalten, ist heute mittags abgereist.4 Er klagt über körperliche Störungen und Müdigkeit; über Ihre Tätigkeit als Präsident hat er sich spontan sehr anerkennend geäußert.
Bei der Heirat Ruth-Mark,5 von der Sie wissen, habe ich als Zeuge fungiert.
Ich hoffe, daß es wenigstens Ihnen beiden jetzt besser geht als uns, und grüße Sie herzlich
Ihr Freud
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S.
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