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S.
[Briefkopf Wien] 13. 7. 1933
Lieber Max
Es ist recht, daß Sie mich an unsere Verabredung erinnert haben.1 Irgendwie fällt es einem spontan nicht ein, daß man Briefe schreiben könnte. Und man kann doch manches sagen und erfahren. Ihre Nachrichten waren sehr interessant. Ich glaube nicht, daß Jung seine schweizerische Unabhängigkeit und seinen Besitz am See für irgendeine Stellung aufgeben wird, aber J. H. Schultz, der allen Sätteln gerechte Streber, wird gewiß danach greifen, wenn es zu haben ist.2 Und wird er dann sich nicht des Instituts bemächtigen wollen? Er hat doch einige seiner Freunde in der Vereinigung.3 Vederemo!
Hier, nun wir haben keine gute Zeit. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht Pötzleinsdorf bedauern. Es ist viel heißer hier, als es dort war. In den letzten Wochen war Anna krank nach einer Zahnausmeißelung, Martin mit einer Furunkulose, Ruth mit einer (hoffentlich harmlosen) Cervixoperation, Ernstl mit Blutung nach einer Mandelausschälung, und das alles war nicht nur, sondern ist nocha so zum guten Teil. Ich bin ja eigentlich nie wohl und habe ein so schlechtes Allgemeingefühl seit jenem Schwindelanfall am 6/5.4 Das mag vielleicht alles unvermeidlich sein, erfreulich ist es nicht.
Ihr Nachruf an Ferenczi hat mir außerordentlich gefallen.5 Es ist ein Jammer, daß Sie so selten etwas schreiben, wenn es doch so gut werden kann. Ich vermißte zuerst eine Bemerkung am Schluß, die auf den traurigen Anfang zurückgreift, eine Art von Synthese herstellt, aber bei näherer Erwägung scheint es mir nicht unerläßlich.6
Marui hat auch mir geschrieben.7 Ob man seine Wünsche erfüllen kann, sollen die Autoritäten entscheiden. Seltsam ist die Erwartung, bei der man sich ertappt, daß die Menschen weit weg von den Schwächen frei sein sollen, auf die man bei den Nahen gefaßt ist. Also kann auch ein Japaner eitel und unerträglich sein!
Oli ist in Paris, Ernst in London, scheint sich mit der Übersiedlung dorthin ernsthaft zu beschäftigen. Nächstens werden wir auch Max Halberstadt flott machen, um Hamburg zu verlassen.
Im Juli arbeite ich noch voll, den August will ich ganz frei halten, nur für die Prinzessin mache ich eine Ausnahme, wenn sie mich besucht. Leider habe ich für die Ferienzeit keine andere Beschäftigung.
Mit herzlichen Grüßen für Sie und Mirra
Ihr Freud
a Im MS folgt verdoppeltes: zum.
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S.
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