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[Briefkopf Wien] 13. 9. 27.
Lieber Max
Hier meine Eindrücke von den Besuchern: Jones, Ferenczi, Jelliffe,1a Laforgue.
Jones war ekelhaft, immer darauf hinaus, einen zu ärgern, einen Nadelstich anzubringen und dabei den Eindruck zu erwecken, daß er noch mehr im Hinterhalt hat, was er aus Schonung zurückhält. Er hat mir einen Brief von Brill gezeigt, der äußerste Gereiztheit verrät und so klingt, als ob die Sezession beschlossene Sache wäre. Dabei schreibt er sich das Verdienst zu, sie2 zu beschwichtigen und in der Vereinigung zu erhalten. Die Lust am Bösen ist darin unverkennbar; ob noch mehr oder minder klare Absichten dabei sind, ist schwer zu sagen. Wolf – Gott allein weiß, woher die Tiere diese Witterung haben – mochte ihn nicht, ist auf ihn losgefahren und hat ihn gebissen. Ich mußte ihn dafür strafen, aber ich tat es wirklich ungern, denn er – Jones – verdiente es.
Ferenczi habe ich viel gesehen und gesprochen. Das erste Mal schien er so abwesend, daß ich meinte, seine Schwerhörigkeit habe ernste Fortschritte gemacht, aber dieser Eindruck verlor sich bald. Er war zugänglich, liebenswürdig, enthusiastisch und verständnisvoll wie nur je zuvor. Von der Präsidentenwahl war nicht viel die Rede; er gab ohne weiteres zu, daß er nicht der richtige Mann für die gegenwärtige Situation gewesen wäre. Sonst scheint er auch an Erfahrungen und Einfällen durch Amerika bereichert worden zu sein. An die Übersiedlung nach Wien denkt er jetzt ernsthafter als vor Amerika, aber es wird wohl nicht werden, denn die Frau3 ist dagegen. Im ganzen Ferenczi sehr erfreulich.
Jelliffe: der salbungsvolle Amerikaner. Alles ist gut in God’s own country. Die Analytiker edle Leute, sie sind nur tired und fühlen sich exploited, wenn man sie besucht. Geldinteressen spielen keine Rolle bei ihnen, vom Dollar spricht man nur in Europa (auch die Juden durften den Namen Gottes nicht aussprechen!). Ein Lehrinstitut machen sie nur darum nicht, weil sie keineb charter dafür bekommen. (Wer dort lehren soll, bleibt geheimnisvoll.) Die Laienanalytiker allein sind schlecht, alle Niederträchtigkeit, die sich nach Amerika verirrt hat, ist auf sie konzentriert. (Als ob man nicht von den Arztanalytikern dieselben Geschichten wüßte!) Auf eine schüchterne Bemerkung von mir, the moral level sei doch in Amerika niedriger als bei uns, die rasche Antwort: O nein, sie seien nur more frank! Amerikanische Aufrichtigkeit! Wolf war leider während seines Besuchs auf einem Spaziergang mit Anna.
Laforgue: zu dick geworden, behäbig, breit dozierend, selbstgefällig. Nicht gut, wenn die jungen Leute so rasch arrivieren. In der Unterhaltung über die Skotomisation4 stellt sich heraus, daß er überhaupt kein Analytiker ist. Er rühmt sich, daß es ihm schwer wird, fremde Gedanken anzunehmen, er muß alles auf seine eigene Art entdecken. Darum studiert er Psychosen selbständig, ohne auf sie anzuwenden, was man bei den Neurosen gelernt hat. Vielleicht wird er dann umgekehrt, was er an Psychosen gefunden hat, auf die Neurosen anwenden. Ich sage ihm, das ist ein falscher Weg, meine auch, diese Art Originalität sei grade keinc Vorzug für einen, der die Analyse in ein neues Land einführen soll. Das gesteht er zu, aber er hofft, die ‚Revue‘ wird diese Lücke ausfüllen und die Aufgabe lösen, die deutsche Psychoanalyse den Franzosen vorzustellen. Ich habe zu meiner Kritik der Skotomisation im ‚Fetischismus‘ jetzt eine Anmerkung hinzugefügt,5 in der ich mich selbst berichtige, da Laforgue selbst zugestehe, die Skotomisation sei ein Begriff aus der Psychologie der Psychose, der auf Entwicklungsvorgänge und auf Neurosen gar keine Anwendung zulasse. In Wirklichkeit ist es ein schwerfälliges, dummes Wort[,] neugebildet für die längst bekannte Tatsache, daß der Psychotiker sich von der Realität abwendet, nicht eine Andeutung eines weiteren Zusammenhanges dabei. Von L. war ich also sehr wenig befriedigt.6
Ich korrigiere und ergänze jetzt die ‚Illusion‘, die Storfer schon zu Weihnachten herausbringen will, offenbar als Geburtstagsgeschenk für Jesus Christus.
Ich habe gehört, daß Sie den Beginn Ihrer Reise verschoben haben.7 Bis dahin höre ich also noch von Ihnen.
Das Wetter hier hat die Besucher nicht vertragen, es regnet, und es ist grimmig kalt.
Dr. [U.] hatte sich für den 10. angekündigt, ist bis heute nicht erschienen. Immerhin bedenklich, er wollte am 1.d Sept. kommen.
Die Prinzessin hat mir den französischen ‚Leonardo‘8 präsentiert. In den ‚Documents bleus‘ der N[ouvelle] R[evue] fr[ançaise].
Ich grüße Sie und Mirra herzlich
Ihr Freud
a Nachträglich eingefügt.
b Korrigiert aus: kein.
c Korrigiert aus: keine.
d MS: ersten.
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