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S.
[Briefkopf Wien] XVIII Khev[enhüllergasse] 6
[8. 6. 32]a
Lieber Max
In Ihren letzten Briefen vermisse ich Mitteilung über den Fortschritt Ihrer Genesung. Dafür fragen Sie nach meiner Gesundheit. Nun, das ist nicht ganz gleichwertig. Ich habe eine gute Zeit hinter mir, die ich auch ausgenützt habe, um eine der neuen Vorlesungen1 im Entwurf zu Papier zu bringen, aber es gibtb immer Signale der Insuffizienz von mehreren Organen zugleich – und wenn eines davon zu lärmend wird, ist es mit der guten Zeit aus. Und überdies das ständige, nicht abzuschließende Elend der Prothese.
Der gute Fortgang unserer Aktion für den Verlag ist wie ein Lichtblick in diesen trüben Zeiten. Ich glaube, man kann auch schon sagen, daß Martin sich als eine gute Wahl erweist. Den gegen Sie erhobenen Vorwurf, daß Sie Storfer zu lang geduldet haben, kann ich nicht entkräften, bekenne aber, daß er mich selbst in gleichem Maß trifft. Die Sache hat zum Glück noch eine andere Seite. Storfer erscheint mir wie einer jener deutschen Duodezfürsten, die ihre Untertanen bedrückt und ausgesogen haben. Nachdem man sie aber weggejagt hat, findet sich das Ländchen im Besitz einer Residenz mit Schloß, Theater und Kunstsammlung, die seine stärkste Attraktion für Fremde werden. Nur muß man sie zuerst wegjagen.
Das Leben hier, wo die Arbeitsstube direkt in den Park übergeht, ist schön. Gestern war der erste unfreundliche Tag in drei Wochen.
Mit herzlichen Grüßen für Sie und Mirra
Ihr Freud
a Datum des Poststempels auf dem zugehörigen Briefumschlag.
b Gestrichen: meh.
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S.
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