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S.
[Briefkopf Wien] Semmering, Villa Schüler.
16. VII. 25.a
Lieber Max!
Ihr letzter Brief enthielt ja nur gute Nachrichten, und die meinigen werden das Niveau nicht verderben. Pichler hat mir zum Abschied eine empfindliche Stelle galvanokaustisch verbrannt; an den Beschwerden der Wunde leide ich noch jetzt, aber der Gesamtzustand ist unzweifelhaft günstiger, und ich werde erst Ende dieser Woche ohne besondere Nötigung nach Wien fahren. Das Leben hier ist sehr behaglich, der Wettercharakter lange nicht so bösartig wie im Vorjahre, und ich genieße das dolce far niente, modifiziert durch die Ausarbeitung einiger kleiner, in Wien konzipierter Schreibereien.1 Mittelpunkt des Interesses ist der große Hund, der alle beschäftigt.2
Was Sie von Rank schreiben, weiß ich auch. Er hat zugesagt, für einen Tag auf den Semmering zu kommen, wenn er in seiner Arbeit klar sieht. Es scheint mir nicht mehr zweifelhaft, daß er seine Schwierigkeiten überwinden wird. An der Änderung in Ferenczis Absichten bin ich nicht direkt beteiligt, sehe aber auch darin ein gutes Zeichen.
Meine Korrespondenz hier äußert sich aktiv in Absagen aller möglichen Zumutungen, passiv in der Entgegennahme verschiedenartiger, oft sehr merkwürdiger Zusendungen. So brachte unlängst eine Post einen Zeitungsartikel über die Psychoanalyse aus Port-au-Prince auf Haiti.
Den Rundbrief haben wir diesmal aufgeschoben, da nichts zu berichten ist. Der Aufschub der ‚Zeitschrift‘, deren Nummer 2 längst da sein sollte, scheint mir nicht so leicht zu rechtfertigen. Von der Gesamtausgabe sind zwei neue Bände bei mir angekommen. Wir arbeiten jetzt am dritten und letzten, der die Nachträge zur ‚Traumdeutung‘ enthält.3 Für den Verlag habe ich einen neuen Wechsel mit Laufzeit bis zum 1. Januar 26 unterschrieben. Man kann das Unternehmen nicht stecken lassen. Am Ende muß ich bereit sein, die Reklame für mich zum Teil selbst zu bezahlen.
Es ist also ausgemacht, daß Sie nach dem Kongreß mit Anna hieherreisen. Ich weiß, daß Sie durch Abrahams Erkrankung eine große Mehrbelastung gehabt haben. Aber Sie scheinen voll arbeitsfähig zu sein, und Mirras Wohlbefinden, das Sie zuletzt bestätigt haben, wird ja auch andauern.
Mit herzlichen Grüßen an Sie beide
Ihr Freud
a Masch.
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S.
Villa Schüler
Semmering 2680
Austria
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C22F14