• S.

    [Briefkopf Wien] 9. 1. 1932

    Lieber Max

    Heute Ihren letzten Brief aus St. Margherita erhalten; eben ist Martin von mir weggegangen. Ja, das Telegramm war von mir. Der Verlag macht mir große Sorgen, die mich – bei mir unerhört! – in den Schlaf verfolgen. Martin hofft, ihn durch die jetzige Krise hindurch steuern zu können, und ich habe allen Grund, seiner Tüchtigkeit und Nüchternheit zu vertrauen. Die Aufgabe, einen Menschen, der so verrückt und so leidenschaftlich ist wie Storfer, in Gutem loszuwerden, scheint mir nicht leicht; das Bedauern, auf seine Brauchbarkeit für unsere Zweckea verzichten und sich über seine unleugbaren Verdienste hinwegsetzen zu müssen, ist eine weitere Erschwerung. Aber es muß wohl sein, nachdem ein Angebot, ihn als bloß intellektuellen Verlagsleiter, sogar mit erweitertem Wirkungskreis (bei halbem Gehalt) weiter zu führen, von ihm abgelehnt wurde. Ich denke, es wird auch für Sie eine große Erleichterung sein, wenn Sie endlich vor den Reibungen mit ihm bewahrt sein werden.

    Etwas flüssiges Geld, den Verlag über die kritische Zeit zu bringen, wird auch Martin nicht entbehren können. Eine Frage also, wie es zu beschaffen ist.

    Von meinem Befinden schreibe ich nicht gern, es ist unbefriedigend in mehreren Punkten, ich weiß nicht recht, woher. Pichler kommt in der Bewältigung der Prothesenaufgabe nicht weiter. Wenn ich die $ 7000 wieder bekäme, die der verunglückte Versuch mit dem Amerikaner1 gekostet hat, wäre der Verlag gerettet.

    Ärgerlich, eigentlich mehr als nur das, ist die Häufung der Erfahrung, daß mit immer mehr Leuten nichts zu machen ist. Bald der, bald jener stellt sich als unbrauchbar oder unlenkbar heraus. Ferenczis Beharren bei seiner bedenklichen Technik,2 Reichs3 und Fenichels Versuch, die Zeitschriften für bolschewistische Propaganda zu mißbrauchen,4 allerlei Dinge über Berlin, die Ihnen sehr genau bekannt sein müssen, über die ich entsetzt bin5 – alles zeigt, daß unter dem anätzenden Einfluß dieser Zeiten sich die Charaktere rasch zersetzen.

    Mit herzlichem Gruß bis zum Wiedersehen Ihr

    Freud

     

    a Im MS folgt: zu.