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S.
[Briefkopf Wien] 21. 3. 22
Lieber Max
Nein, ich habe Ihren letzten Brief erhalten und war mit der Zuversicht, die er ausdrückte, sehr zufrieden. Es gehört natürlich zu meiner Altersrolle, eher zu sehen und zu betonen, wo sich eine Schwierigkeit oder eine Inkongruenz ankündigt. Aber in einem auf das Aktuelle bezüglichen Punkt war Ihr Brief keine Antwort – Sie brauchen nur nachzusehen, um herauszufinden, in welchem –, und darum dachte ich, ich könnte auf diese Antwort warten.1
Ihre Familiennachrichten waren sehr interessant. Ich gratuliere zum zweiten Kind des jüngsten Paares und zur Frische und Unternehmungslust der jungen Großeltern. Über die zweite Ehe der Schwägerin sagten Sie weiter nichts.
Es kann mir nicht ganz lieb sein, daß Sie aus der Feier meines Geburtstages eine Institution machen wollen, aber einerseits hoffe ich, daß sich diese Belastunga nicht mehr oft wiederholen wird, anderseits ist mir jeder Vorwand recht, der uns für einen Tag Ihre Gesellschaft bringt, und darum sage ich, Sie werden herzlich willkommen sein, und ich werde der ärztlichen Tätigkeit den betreffenden Samstag entziehen. Wohnte nicht unsere Nichte Ditha2 bei uns, so müßten Sie auch unser Wohngast sein.
Die angeklebte russische Marke3 hat mich sehr amüsiert. Ich hatte gestern einen zweiten Brief von Wulff4 aus Moskau, aus dem zu ersehen ist, daß er meine seinerzeitige Antwort nicht erhalten hat.5 Sein neuer Brief trug deutsche Marke und Stempel Berlin. Es stehen also einer Verständigung noch schwere Hindernisse im Wege, die ich nicht zu überwinden weiß. Könnten Sie einen Brief von mir nach Moskau durch einen Reisenden befördern lassen?
Es sind stille Zeiten im und außer dem Hause. Ranks Besuch, einmal in 14 Tagen, zur Abfassung des Rundbriefs6 ist geradezu ein Ereignis.
Daß Mirra wieder an allem mittut, ist eine schöne Bestätigung Ihrer Erwartungen. Grüßen Sie sie herzlich von mir und uns allen.
Ihr getreuer
Freud
a Freud wiederholt: sich.
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S.
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