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S.
[Briefkopf Wien] 15. X. 1930
Lieber Max
Da ich schon einmal so überflüssiger Weise mitteilsam war, Ihnen von Pichlers neuem Eingriff zu sprechen, muß ich wohl auch das weitere berichten.1 Ich glaube, es wäre keine Kränkung und keine Zurücksetzung gewesen, wenn ich aus all diesen Einzelheiten ein Geheimnis gemacht hätte. Eine nachhaltige Bedeutung scheint ihnen nicht zuzukommen.
Während also Magen- und Herzbeschwerden vor dem Eingreifen der Therapie langsam zurückweichen, hat Pichlers Initiative den Zustand im Mund in den Vordergrund gerückt. Im Juni hatte es in Berlin einen großen Dekubitus2 an einer bestimmten Stelle der Narbe gegeben. Schröder hatte energisch geätzt und eingeschärft, auf diese Stelle zu achten. Pichler war nun mit dem Gewebe, das sich dort gebildet hatte, nicht zufrieden und beschloß, die betreffende etwa 10 cm große Partie auszuschneiden und durch einen neuerlichen Thiersch3 (vom Oberarm) zu decken. Das hat er nun gestern von 2-3½h getan, es war reichlich unangenehm, als Operation nimmt es natürlich keinen hohen Rang ein. Die Prothese wird nun 3-4 Tage lang nicht abgelegt, sie soll das Hautstück an die Wunde anpressen. Solange kann ich nicht kauen und nur schlecht sprechen, habe also Arbeitsferien und nähre mich von flüssigem Stoff. Gestern hatte ich auch heftige Mundschmerzen, heute nur mehr den Druck. Die entfernten Gewebsstückchen sollen untersucht werden, angeblich erwartet man sich nichts von ihnen. Vorläufig kein Anlaß, wieder zu Schr[öder] zu gehen.
Ich würde Ihre Eröffnungsrede gern gedruckt sehen; wenn man sich schon in die gleichzeitigen Polemiken mengen muß, so ist Ihre Art die vornehmste, und die Tätigkeit entspricht auch Ihrer offiziellen Stellung. Aber das Entlegene, wie von fernher Hingehauchte Ihrer Darstellung könnte nur mit Vorteil einer derberen, direkteren Art den Platz räumen. Interessant, daß auch Storfer auf seinem Gebiet die Steigerung des Widerstands seit dem Goethepreis bestätigt.
Mit herzlichem Gruß für Sie und Mirra
Ihr Freud
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S.
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