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S.
[Briefkopf Wien] 11. 3. 23
Lieber Max
Ich hoffe, Sie haben meinen Brief nach Rom erhalten, der Ihnen vona der Spende [B.] und von meinen Motiven Mitteilung macht, diese selbst vor dem Komitee geheim zu halten. Die 1001 kleinen und doch bedeutsamen Inkorrektheiten, die Jones bisher begangen hat und beständig begeht und die in der Tat die Intimität des Komitees bereits zerstört haben, rechtfertigen mich. Trotz dieser Einnahme geht es dem Fond nicht gut, ein großer Teil ist bereits ausgegeben, und die gegenwärtige Krise verschlingt alle Sicherheiten und Aussichten.
Ich habe nur auf Ihre Rückkehr gewartet, um Ihnen einen dringenden persönlichen Wunsch vorzubringen. An meiner Komitee-Bilderwand hängt nur eine ältere schlechte Photographie von Ihnen in ganzer Figur. Ich bitte Sie, mir dafür eine der guten Hamburger Photographien (ungerahmt) zu schicken.1
Im April wird ein Frl. Anna Rosenberg,2 die in einigen Wochen promovieren wird und sich dann der Kinderanalyse und den Kinderkrankheiten widmen will, an die Poliklinik kommen, um den regulären Ausbildungskurs zu machen. Sie ist die Tochter eines alten Freundes, der hier selbst Kinderarzt ist, ein sehr anständiger Mensch, Schwager von Dr. Rie. Ich tue es gerne, daß ich sie Ihnen warm empfehle. Wenn Sie [sie] selbst in die Analyse nehmen könnten, würden wir alle sehr froh sein. Sie wird sich Ihnen schriftlich ankündigen.
Olis Briefe aus Duisburg zeugen von heiterer Entschlossenheit, aber auch von der Unsicherheit der äußeren Lage. Ich hoffe, er hat mit seiner neuen Wahl Glück gehabt.
Ich bin heuer nicht mehr zu vollem Wohlbefinden durchgedrungen und spüre allerlei Leiden recht sehr. Das Altsein ist nicht sehr erfreulich.
Ein reizender Brief von Romain Rolland3 hat mir einige Tage verklärt.
Nach Berlin zur Hochzeit zu kommen, wird mir nicht leicht werden. Ich getraue mich nicht, die Zeit mit meinen Fremden zu versäumen, schaue ängstlich auf den Erwerb, der mir drei Monate Ferien und die Möglichkeit, so viele Ansprüche zu befriedigen, geben soll, und die Schwierigkeiten, die gegenwärtig die deutsche Paßstelle macht, mit gewohnter deutscherb Brutalität gegen alle Wehrlosen, machen die Entscheidung fast von meiner Neigung unabhängig.
Die kleine Vorrede zu Ihrem poliklinischen Bericht ist mir leicht gegangen. Hoffentlich entspricht sie Ihrem Wunsch. Ganz vom Verlag eingenommen, habe ich bisher wirklich wenig für die Poliklinik getan.
Die guten Nachrichten über Mirra sind mir sehr recht. Seien Sie beide herzlich gegrüßt von Ihrem
Freud
a MS: vor.
b Nachträglich eingefügt.
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S.
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