-
S.
[Briefkopf Wien] 20. 3. 1932
Lieber Max
Während einer langen Briefpause haben Sie sich häufig genug nach meinem Befinden erkundigt und erfahren, daß die Operation und die erste Woche nachher erträglich waren. In der zweiten, die heute abläuft, haben mich Schmerzen, mehr als erwünscht, gequält und mitlaufende Verdauungsstörungen geschwächt. Ich erwarte, daß die Wirkungen der Operation in der nächsten Woche zu Ende kommen werden. Ich kann wiederum kauen usw.
Martin arbeitet wacker im Verlag und ist hoffnungsvoll. In den Ostertagen will ich den Rundbrief an die Vorsitzenden der Gruppen aufsetzen und sie darin auffordern, in den Versammlungen einen Meinungsaustausch einzuleiten, in welcher Weise die I.P.V. dem Verlag eine dauernde Stützung bereiten kann. Mein eigener Vorschlag wird dahin gehen, von jedem Mitglied einen jährlichen Verlagsbeitrag einzuheben. Auf dem Kongreß soll über die Art der Hilfeleistung definitiv entschieden werden.1 Es ist noch Zeit, Ihre Meinung über diesen meinen Schritt anzuhören und ihr Rechnung zu tragen.
In Sachen der Redaktionen bin ich noch nicht entschieden. Ich meine, die der ‚Imago‘ werde ich jedenfalls nach Wien verlegen, sie vielleicht Wälder und Kris antragen, sobald der Redaktionsraum im Verlag frei wird. Bei der ‚Zeitschrift‘ muß man ja zunächst die sichere Nachricht über Radós Verbleib abwarten, ehe man sich entschließt.
Ich möchte noch etwas anderes für den Verlag tun, wenn meine Kräfte, die jetzt grade unzuverlässig scheinen, es ermöglichen. Ich will eine Ergänzung zu den ‚Vorlesungen‘ schreiben, die darstellt, was in den fünfzehn Jahren seit[her] neu hinzugekommen ist.2 Die Form der Vorlesungen soll festgehalten werden.
Der Entschluß zu dieser Arbeit wird mir nicht schwer, denn ich weiß mit meiner freien Zeit kaum etwas anderes anzufangen, aber ob ich’s noch zustande bringe, bei so weitgehender Einschränkung des Rauchens und der allgemeinen Ermattung? Gewiß ist dieses Werk mehr ein Bedürfnis des Verlags als mein eigenes, aber man soll doch immer etwas vorhaben, worin man eventuell unterbrochen wird; besser, als daß man träge dahinwartet. Sehr wenige wissen von diesem Vorsatz; ich bitte Sie auch, ihn geheim zu halten. Es geht die Rede, die mich sehr gekränkt hat, daß Sie gegen eine Person, die mir nicht grade sympathisch ist, kein Geheimnis bewahren.3 Das soll doch nicht sein.
Thomas Manns Besuch war sehr erfreulich. Er benahm sich echt und ungezwungen, man war sofort mit ihm vertraut, und was er sagte, war verständig und klang nach Hintergrund. Die Frauen haben uns natürlich nicht lang allein gelassen, sie lieben ihn sehr als halben Landsmann.4
Herzliche Grüße
Ihr Freud
-
S.
Berggasse 19
Wien 1090
Austria
Altensteinstraße 26
Berlin 14195
Germany
C23F16