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    [Briefkopf Wien] Seefeld 29. 8. 21

    Lieber Max

    Zwischen den Zeilen Ihres heutigen Briefes lese ich, daß Sie mit Mirras Befinden noch nicht zufrieden sind, und will mit Ihnen auf das von ihr so geliebte Meran hoffen.

    Daß Sie die Kosten unserer Zusammenkunft niedriger anschlagen, kann mir ja recht sein. Vergessen Sie aber nicht, daß Rank eine Woche früher (am 13.) nach Deutschland fährt, um Verbindungen für den Verlag anzuknüpfen und die Zweckmäßigkeit seiner Verlegung von Wien weg zu beurteilen. Bringen Sie also auch für diese Reise Geld mit. Was wir übrigens am Kongreß ersparen, wird vervielfacht für den Verlag aufgehen, der jetzt wohl die größere Hälfte des Fonds aufzehren wird.

    Unser Aufenthalt hier ist in bezug auf Klima, Lage, Unterbringung und Kost fast tadellos. Doch bringe ich es zu keinem ganzen Behagen. Es fehlt dazu bald dies, bald jenes, und Zustände von schwerer Müdigkeit,a bei einem so unermüdlichen Fußgänger, wie ich sonst bin, von tagelanger Dauer, geben im Verein mit anderen Anzeichen zu denken. Ich hatte sie schon in Gastein, schob sie dort auf die Wirkung der Bäder, aber mit Ohrensausen, Herzklopfen und Herzschmerzen verbunden, scheinen sie doch für das rasche Altern von Herz und Arterien zu sprechen. Auch die volle Untätigkeit hier ist mir nicht förderlich; während der Spannung der Arbeit wird von diesen funktionell überflüssigen Zeichen doch vieles überhört.

    Bei der Schwierigkeit organischer Selbstbeurteilung weiß ich natürlich doch nicht, ob ich die Freunde vom Komitee auffordern soll, sich jetzt schon an den Gedanken der Arbeitsfortsetzung ohne meinen Anteil zu gewöhnen. Jetzt schon oder ein wenig später, das ist ja die ganze Frage.

    Ihre Anfrage, wann ich durch oder nach Berlin komme, möchte ich gerne verläßlich beantworten. Es geht aber nicht, weil ein zweites unberechenbares Element den Ausfall entscheidet, das Wetter. Bleibt es günstig, so will ich erst am 15/9 von hier abreisen undb möglichst rasch nach Berlin kommen, wo ich Ernstl seinem Vater übergeben kann. Dann gabelt es sich, entweder gehe ich nach einem Blick auf Gabriel mit nach Hamburg, oder ich bleibe einige Tage in Berlin, letzteres dann, wenn ich Unterkunft finde, sei es im Hotel oder bei Ernst. Bei Ihnen scheint es ja durch die Unfertigkeit Ihres Hauses und Ihre mögliche Abwesenheit ausgeschlossen. Jedenfalls nehme ich Ihren Vorschlag gemeinsamer Reise zum Kongreß an. Abraham hat mir denselben Antrag gemacht, aber er soll nicht auf so bestimmte Daten dringen.1 Ich brauche da etwas Freiheit.

    Von Oli schreiben Sie nicht. Ernst hat uns mitgeteilt, daß er wieder bei Rapap[ort]2 in Berlin engagiert ist.

    Mit herzlichen Grüßen für Sie und Mirra

    Ihr Freud

     

    a Im MS folgt: die [Einleitung eines nicht durchgeführten Relativsatzes?].

    b Nachträglich eingefügt.