-
S.
[Briefkopf Wien] 7. 5.a 1931
Lieber Max
Um Sie berechtigterweise zu entschädigen, schreibe ich Ihnen den ersten Brief nach 14tägiger Entwöhnung von der Feder.
Ich bin am 24/41 zur Operation ins Sanatorium gegangen, am 5/5 nach Hause gekommen. Von der Operation weiß ich nichts, sie soll ganz hervorragend geglückt sein. Das exzidierte Stück habe ich gesehen, es war respektabel groß. Die histologische Untersuchung hat behauptet: noch gutartig, aber in zwölfter Stunde beseitigt. Das nimmt also etwaige Zuversicht für die Zukunft weg, hoffen kann man immer.
Die zwölf Tage im Sanatorium mit ihren Schmerzen, Betäubungen, Lungenkomplikationen und ihrer Aushungerung konnten nicht sehr behaglich sein. Nach Hause habe ich eineb eigenartige Müdigkeit oder Erschöpfung mitgebracht, die man auf Untertemperatur und Unterernährung zurückführt. Ich schlafe ohne Narkotika, spreche recht mühselig und kann gar nicht kauen. Will am nächsten Montag einige Stunden geben, werde es aber nicht treffen. Es war sehr berechtigt, Ihnen, Ernst und Oli und allen anderen abzusagen, Ferenczi habe ich nur auf zwei Minuten gesehen, sonst keinen Besucher empfangen.
Ich war sehr froh, am Geburtstag zu Hause zu sein, es war leichter und schöner für meine geplagten Pflegerinnen. Der Tag ist übrigens erfreulich verlaufen, diskrete und mit wenig Ausnahmen nicht unsinnige Äußerungen in den Zeitungen, Telegramme und Briefe von solchen, an denen am meisten gelegen, der schönste, intimste von R. Rolland,2 dann von dem Schweizer Muschgc,3 Einstein fällt nichts Neues ein, spät abends noch telegraphischer Gruß von Ihrem Grimme.4 Meine Wiener Feinde stellenweise weich geworden. Ein Wald von herrlichen Blumen und wenigstens eine griechische Vase,5 damit Kalchas nicht recht behält.6
Das bemerkenswerteste Geschenk ist wohl das von Ihnen, M 50.000 für den Fond. Was damit geschehen soll? Ich meine, wir bleiben bei unseren alten Absichten, die dringendsten Schulden des Verlags abzutragen und den Rest zu verwenden, um die Loslösung von Storfer im Laufe des kommenden Jahres durchzuführen. Auf welche Weise, das bitte ich Sie selbst zu bestimmen; wie ich Ihnen überhaupt meinen Dank für Ihre unersetzlich selbstlose Mühe nicht anders abstatten kann, als indem ich Sie mit allen Sorgen, die sich um Fond und Verlag sammeln, bis zu meinem Lebensende weiter belaste. Ich bin doch sicher, daß Sie nicht vorher einmal erklären, Sie wollten nicht mehr.
Mit allerherzlichstem Dank und Gruß an Mirra Ihr
Freud
a Korrigiert aus: 6.
b Gestrichen: b.
c MS: Mutschg.
-
S.
Berggasse 19
Wien 1090
Austria
Altensteinstraße 26
Berlin 14195
Germany
C23F14