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[Briefkopf Wien] 19. 3. 26
Lieber Max
Ich habe mich von meiner Sekretärin emanzipiert – sie hat eilig den Nachruf von Jones an Ab[raham]1 zu übersetzen –, um Ihnen intimer zu schreiben, da mir einige Stellen Ihres heutigen Briefes in unerwünschter Richtung von der Realität abzuweichen scheinen.
Also gewiß will ich das Komitee, d. h. Sie, Ferenczi, Jones und Sachs, anfangs Mai bei mir sehen. Ich beabsichtige, vom 6. Mai bis Montag 10. Mai excl.a die Arbeit aufzugeben, um mich meinen Gästen zu widmen. Mitwirksam ist dabei die Idee, daß es leicht die letzte Zusammenkunft mit den Freunden sein kann. Ich schreibe dies ohne Bitterkeit, ohne Anstrengung zur Resignation, in ruhiger Sachlichkeit, weiß aber, wie schwer es ist, andere zu solcher Auffassung zu bewegen. Wenn man nicht ein Optimist ist, wie unser Abraham war, wird man natürlich als Pessimist oder Hypochonder verurteilt. Daß man auch etwas Ungünstiges erwarten kann einfach darum, weil es das Wahrscheinliche ist, will doch niemand glauben.
Es ist aber ziemlich sicher, daß eine myokarditische2 Affektion sich bei mir äußert, die mit der Rauchabstinenz nicht einfach abzutun ist. Was meine Internisten von geringfügigem Befund, großer Besserung u. dgl. reden, ist natürlich kunstgerechte Verschleierung, bei der darauf gerechnet wird, daß ich kein Spielverderber bin, und ich werde mich auch anständig benehmen und keiner Konvention zuwiderhandeln. Nur daß ich der Sanat[oriums]-Therapie in etwa einer Woche ein Ende setze, wird man mir nicht nehmen dürfen. Ich befinde mich hier keineswegs wohl, und wenn es die Riviera wäre, hätte ich längst die Rückreise angetreten.
Mein subjektiver Zustand wird wesentlich bestimmt durch den Zustand meiner katarrhalischen Schwellungen in Mund und Nase, und diese haben sich in den letzten Wochen so gesteigert, daß mir das Reden ebenso mühselig ist wie das Hören. Die Summation meiner verschiedenen Beschwerden legt mir die Frage nahe, wie lange ich noch meine berufliche Arbeit werde fortsetzen können, zumal da der Verzicht auf des Rauchens liebe Gewohnheit eine große Herabsetzung meiner geistigen Interessen mit sich gebracht hat. Das formiert sich nun zum drohenden Gewölk der nächsten Zukunft. Die einzige Angst, die ich wirklich habe, ist die vor einem längeren Siechtum ohne Arbeitsmöglichkeit, direkter gesagt: ohne Erwerbsmöglichkeit. Gerade das ist das Wahrscheinlichste. Ich habe aber nicht genug Besitz, um ohne Neuerwerb meine bisherige Existenz fortsetzen, besonders die nicht aussetzenden Verpflichtungen erfüllen zu können. Auf so ernsthafte und gewöhnliche Dinge kommt es schließlich hinaus.
Sie werden verstehen, daß ich in dieser Konstellation, drohende Arbeitsunfähigkeit durch schlechte Sprache, abnehmendes Gehör und intellektuelle Unlust, dem Herzen gar nicht böse sein kann, die Herzaffektion eröffnet doch Aussichten auf einen nicht zu verzögerten und nicht zu kläglichen Abschluß. Gegenwärtig steht es so, daß ich heute zum ersten Mal 20 Minuten lang eben gegangen bin, ohne die Sensationen am Herzen zu bekommen. Ich weiß natürlich, daß die diagnostische Unsicherheit in diesen Dingen zweiseitig ist, daß es bei einer episodischen Warnung bleiben kann, daß Katarrhe sich bessern können usw. Aber warum soll gerade um 70 herum alles so liebenswürdig verlaufen? Übrigens bin ich mit Resten immer ungeduldig gewesen, habe es auch nicht vertragen, wenn eine Zigarrenschachtel nur noch ein paar Stück enthielt.
Warum ich Ihnen das so schreibe? Wahrscheinlich, weil ich es mir ersparen will, es Ihnen zu sagen, wenn Sie hier sind. Außerdem, um Sie zur Mithilfe zu werben, daß man mir die bevorstehenden Förmlichkeiten und Feierlichkeiten so leicht als möglich macht. Hierin rechne ich also auf Sie. Machen Sie sich nun keine falsche Vorstellung, und glauben Sie nicht, daß ich deprimiert bin. Ich sehe einen Triumph darin, wenn man sein klares Urteil unter allen Umständen bewahrt, aber keinen, wenn man wie der arme Abraham sich von der Euphorie täuschen läßt. Ich weiß auch, wäre das eine Unbehagen wegen der möglichen Arbeitsunfähigkeit nicht, so müßte ich mich für beneidenswert erklären. So alt geworden, soviel herzliche Liebe in der Familie und bei Freunden, soviel Anwartschaft auf den Sieg bei so gewagter Unternehmung, wenn auch nicht der Sieg selbst: wer hat so bald Ähnliches erreicht?
Ich grüße Sie herzlich und hoffe zu hören, daß es Mirra in Ospedaletti und Ihnen in Berlin gut geht.
Auf Wiedersehen Ihr
Freud
a Nachträglich eingefügt.
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