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    [Briefkopf Wien] 16. 2. 27

    Lieber Max

    Die Anlässe dieses Briefes – so bald nach dem Rundbrief1 – sind zwei. Erstens soll ich im Namen des ganzen Hauses um Auskunft bitten, wie Mirra mit ihrer, gewiß sehr überflüssigen, Grippe fertig wird, zweitens will ich Ihnen dafür danken, daß Sie mir wiederum die gute Zigarre2 geschickt haben, schon 150 Stück seit der ersten Probe. Ich habe seit langen Jahren nichts so Angenehmes und Bekömmliches zum Rauchen gehabt, und da es nicht meine Absicht ist, für den kurzen Lebensrest auf diese Genußquelle zu verzichten, bitte ich Sie, auch künftighin die Gelegenheit für weitere Sendungen wahrzunehmen.

    Es wäre aber contra bonos mores,3 etwas, was einem Nahrungsmittel gleichkommt, regelmäßig als Geschenk zu beziehen. Ich habe darum Ernst4 angewiesen, meine bisherige Schuld an Sie (150 x 45) mit dem Betrag von M 67.50 aus meinem Depot bei ihm zu tilgen.

    Meine neue Prothese verzögert sich immer mehr, ich habe ja auch keine Sicherheit, daß sie viel besser werden wird, und einstweilen lebe ich sehr unbequem. Um meine Verstimmung darüber zu bekämpfen, habe ich mir heute – für teures Geld – eine reizende kleine Dipylonvase, ein wahres Kleinod – geschenkt. (Geldausgeben ist nicht nur im Angstzustand indiziert.5) Umsomehr, als im Familienkreis der feste Entschluß gefaßt wurde, daß ich zu keinem der nächsten Geburtstage vor dem 80. ein Geschenk annehmen sollte, wovon Sie hiemit die offizielle Anzeige erhalten.

    Ihr Geschenk in anderem Sinne, der Dr. [U.], ist mir sehr erwünscht. Es ist mir gelungen, Zeit für ihn zu schaffen, indem ich den öden [D.] auf Monate beurlaubt habe. Den Mann [U.] haben Sie gut vorbereitet, ein leichter Bissen wird er nicht sein, den wollt’ ich auch einst haben. Hoffentlich entzieht er sich mir nicht zu bald durch eine Wiederholung der Psychose, deren Inhalt ihn noch ohne Einschränkung beherrscht. In einem Punkt habe ich eine besondere Technik eingeschlagen, indem ich meine energische Ablehnung seiner mystischen Überzeugungen nicht verhehlt, sondern vorangestellt habe. Ich meine, er ist ein gefährliches Individuum, bei dem der Angriff die beste Parade ist. Hält er die Belastungsprobe aus, dann ist es recht. Seine kritischen Fähigkeiten stehen offenbar nicht auf der Höhe seiner sonstigen Begabung, sonst wäre er dem Hochstapler Steiner von der Anthroposophie6 nicht so gründlich aufgesessen. Geht alles gut, so werde ich viel an ihm lernen. Die Unbefriedigung durch seine Frau ist greifbar, seine Femininität (vide Schreber7) wird eine große Rolle zu spielen haben.

    – Wir haben Kurzschluß bekommen, ich schließe bei Kerzenlicht mit herzlichen Grüßen und Genesungswünschen

    Ihr Freud