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S.
[Briefkopf Wien] 20. 3. 1931
Lieber Max
Danke für die Abschrift Ihres Briefes an Storfer! Meinen Brief an ihn hat er Ihnen, soviel ich weiß, mitgeteilt, und ich rechnete auch darauf. Seine Antwort schien mir höchst unbefriedigend, sein Benehmen diesmal überhaupt lausbübisch boshaft, und demnach ist mein zweiter Brief ziemlich unfreundlich ausgefallen. Seitdem habe ich nichts von ihm gehört (13. d. M.). Es scheint, daß er schmollt und die Beziehungen abbricht. Ich glaube, man darf sich nicht mehr von ihm bieten lassen. Wenn wir wirklich zum Geburtstag Geld bekommen, sollten wir es dazu verwenden, ihn auszuzahlen und wegzuschickena. Ist unter den jetzigen Angestellten des Verlags keiner, der die Geschäfte wenigstens provisorisch weiterführen kann?b
Ich profitiere wenigstens das eine von der neuen Situation, daß ich jeden Beitrag für Agitation,1 die St. sonst gewiß angestellt hätte, verweigere. In dem Punkt habe ich wirklich immer nur ihm nachgegeben, dem verrückten Walfisch eine Tonne zum Spielen hingeworfen.2
In letzter Woche begann auch die Drohung eines anderen, zum Glück gleichgiltigeren Unheils. Die Gesellschaft der Ärzte soll mich und Landsteiner (den Nobelpreisler)3 zu Ehrenmitgliedern vorgeschlagen haben, die Ernennung nahe bevorstehen.4 Feige Verbeugung vor dem Anschein des Erfolgs, sehr ekelhaft und zuwider. Ablehnen geht kaum, wäre nur ein Mittel, Aufsehen zu machen; ich werde mich [mit] dem kühlsten Dank aus der Affaire ziehen.
Die unser Haus beherrschende katarrhalische Affektion hat als letzten auch mich gepackt, ich bin, hoffentlich nur für die unvermeidlichen drei Tage, elend genug. Meine Frau hat Ihnen noch vorher gute Auskünfte gegeben; ich gestehe zu, daß es sehr vernünftig ist, nur glauben brauchen Sie ihr nicht immer.
Radó spricht noch in diesem März bei mir.5 Die Arbeit über Wilson6 stockt, der Mann7 hat seine Analyse bei mir wieder aufgenommen und ist derzeit untauglich.
Es sind die kältesten Tage dieses Winters. Wir verhandeln um ein Haus in Salmannsdorf.
Ich grüße Sie und Mirra herzlich
Ihr Freud
a MS: weckzuschicken.
b MS: Punkt statt Fragezeichen.
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S.
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