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S.
[Briefkopf Wien] 2. 2. 27
Lieber Max
Es tut mir noch immer leid, daß Ihr diesmaliger, historisch bedeutsamer Besuch1 mit einer Erkrankung abgeschlossen hat, die, wie Ihre Berichte aus der Rekonvaleszenz2 zeigen, nicht ganz gleichgiltig war. Ich habe bald nachher eine Katarrh-Verstärkung entwickelt, getraue mich aber nicht, sie Ihnen zur Last zu legen, denn alle Welt hier hat dasselbe. Der Einwand von plurium cohabitantium (oder wie die Formel richtig lautet)3 macht die recherche de la paternité unsicher.
Dr. [U.]4 möchte ich, da er nicht bei Ihnen in Berlin sein kann (wenn es wirklich so ist), gerne behalten. Er ist „zu schade“5 für Federn, und mich interessiert dieser uns fremde Typus der germanischen Kraftnatur mit ihrer törichten Mystik und voll erhaltener Infantilität. Vielleicht geht es auf die Art, daß ich jedem meiner fünf Kostgänger eine Stunde wegnehme und ihm daraus eine Portion bereite. 6 mal 5 ist doch gleich 5 mal 6.6 Ein neuer Mensch bringt wahrscheinlich eine frische Anregung.
Von Jones hatte ich den beiliegenden Brief.7 Es handelt sich darum, daß ich Pierce Clark8 die Erlaubnis zur Übersetzung von ‚Hemmung, Symptom und Angst‘ gegeben, was die Engländer als eine schwere Schädigung auffassen, während sie selbst mit einer unglaublichen Langsamkeit arbeiten – ‚Ich und Es‘ ist erst vor einigen Wochen erschienen – und ihre Übersetzungen in Amerika keinen Absatz haben. Ich aber wurde bisher in der Überzeugung erhalten, daß englische und amerikanische Übersetzungen einander nicht im Wege stehen. Ich habe Jones sehr artig geantwortet, zu allen Konzessionen bereit, nur auf seine üble Laune bedauernd hingewiesen. Es ist mir aber klar, daß er Händel sucht, und ich werde nicht immer so liebenswürdig bleiben können!
In Amerika waren wiederum Gerüchte verbreitet, daß bei mir eine neue Operation notwendig geworden ist, worauf meine Schwester in New York9 und Ferenczi besorgte Anfragen an Mathilde und an meinen Bruder gerichtet haben. Irgendein amerikanischer Berichterstatter in Wien scheint da Lügen gekabelt zu haben, um einige Dollars zu verdienen.
Mit einem Dr. Achelis in Berlin, der mir eine „philosophische“ Abhandlung über den Traum zugeschickt, hatte ich einen kurzen Briefwechsel.10 Bei einem „Gedankenaustausch“ hättea ich nicht viel gewonnen. Wissen Sie etwas von dem Mann? Ist er Grieche, Germane oder versteckter Jude?
Ich grüße Sie und Mirra herzlich Ihr
Freud
a Schriftbild: hatte.
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S.
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